Bericht des Präsidenten

Der Fachkräftemangel ist die wahre Herausforderung

Nachdem die Jahre 2020 bis 2022 von der Corona-Pandemie geprägt waren, ist im Jahr 2023 wieder mehr Normalität eingekehrt. Allerdings mit erheblich anderen Vorzeichen, denn die Pandemie hat sowohl die Stärken als auch die Schwächen der Schweizer Gesundheitsversorgung offenbart.

Die Stärken liegen ganz klar darin, dass sich die Bevölkerung auf das qualitativ hochstehende und gut zugängliche Gesundheitswesen verlassen kann. Die dezentrale, wohnortnahe Versorgung hat sich als gutes Modell bewährt, denn die Patientenströme wurden auf verschiedene Standorte verteilt. So konnte das gesamte System entlastet werden. Dieses ausserordentlich gut funktionierende Gesundheitswesen ist damit Garant für die starke wirtschaftliche Leistung und die hohe Lebensqualität. Um den Herausforderungen der Zukunft, insbesondere dem demografischen Wandel, zu begegnen, muss sich das System nun in Richtung Ambulantisierung weiterentwickeln.

Das ganze System funktioniert jedoch nur dank dem enormen Einsatz des Gesundheitspersonals. Und damit wären wir bei den offensichtlichen Schwächen. Der enorme Spardruck, ausgelöst durch den Bundesrat und das nationale Parlament, und die vielen neuen zusätzlichen regulatorischen Auflagen mindern die Attraktivität der Gesundheitsberufe. Insbesondere die überbordende Bürokratie zwingt die Gesunheitsfachpersonen an den Schreibtisch, obwohl sie ihre Zeit lieber für die Patientinnen und Patienten einsetzen würden.

Der politische und mediale Fokus auf den Kosten und der Kostenröhrenblick haben dazu geführt, dass das Verständnis für die wahren Herausforderungen verloren ging.

Insbesondere der sich akzentuierende Fachkräftemangel wird uns in Zukunft beschäftigen. Zwischen 2023 und 2029 werden 788’000 Personen das Alter 65 erreichen. Im gleichen Zeitraum werden jedoch nur 640’000 Jugendliche 20 Jahre alt. Dadurch fehlen zwischen 2023 und 2029 rund 148’000 potenzielle Arbeitskräfte. Bis 2040 vergrössert sich diese Zahl auf 321’000. In der Pflege geht man von einem Arbeitskräftemangel von 30’500 Personen bis 2030 und 39’500 bis 2040 aus. Bei den Ärztinnen und Ärzten fehlen 2’000 Personen bis 2030 sowie 5’500 bis 2040.

Dieser Mangel an Arbeitskräften steht einem Mehrbedarf nach medizinischer Versorgung gegenüber, der durch das Bevölkerungswachstum, die Alterung der Bevölkerung und den medizinischen Fortschritt ausgelöst wird. Dies kann zu einem Leistungs- und Qualitätsabbau führen.

Mit den Ausbildungsoffensiven bei den Pflegefachberufen wird die Not zwar gemildert, aber sie werden nicht ausreichen. Und bei den Ärztinnen und Ärzten muss zunächst ein Umdenken in der nationalen Politik stattfinden.

Was ist zu tun?

Der Fokus muss vom Kostenröhrenblick auf die Versorgungssicherheit und Qualität verschoben werden. Das bedeutet unter anderem eine Intensivierung der Ausbildung von zusätzlichen Pflegefachpersonen sowie auch von Ärztinnen und Ärzten. Bei neuen und bestehenden Regulierungen gilt es, den Nutzen aufzuzeigen und sie gemäss den WZW-Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit) zu überprüfen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, so ist auf diese Regulierungen zu verzichten. Weniger ist mehr!

Die wachsende Bürokratie ist einzudämmen. Hier sind vor allem die Krankenversicherer gefordert, die immer öfter eine nochmalige Begründung für eine Behandlung verlangen und somit die Zeit des Gesundheitspersonals für die Patientin, den Patienten verringern. Ausserdem muss die Digitalisierung nun endlich auch im Schweizer Gesundheitswesen Realität werden. Die Hürden beim Einsatz des elektronischen Patientendossiers sind zu beseitigen und stattdessen Anreize für dessen Nutzung zu setzen.

Systemwechsel

Am allerwichtigsten ist jedoch der Systemwechsel hin zur spitalambulanten, integrierten Versorgung. Dieses Konzept ist ernsthaft voranzutreiben. Ein wichtiger Pfeiler dafür ist die Vorlage zur einheitlichen Finanzierung ambulant und stationär (EFAS), die das nationale Parlament im Dezember verabschiedet hat – nachdem es das Geschäft 14 Jahre beraten hat. Ausserdem müssen die Tarife so erhöht werden, dass sie als Anreize dienen. Momentan sind sie so tief, dass sie als Bremsklotz wirken.

Der Systemwechsel hin zur spitalambulanten, integrierten Versorgung hat den Vorteil, dass die Patientinnen und Patienten früher wieder nach Hause gehen können und schneller gesund werden. Und er wirkt sich positiv auf die Kostenentwicklung aus – bei gleichbleibender Qualität. Besonders wichtig ist jedoch, dass der Systemwechsel den Fachkräftemangel verringert. Er ermöglicht neue Arbeitszeitmodelle, reduziert den Dreischichtbetrieb und führt insbesondere zu weniger Nachtschichten. Die dadurch verbesserten Arbeitsbedingungen führen dazu, dass die Gesundheitsberufe an Attraktivität gewinnen und die Gesundheitsfachpersonen länger und zufriedener in ihrem angestammten Beruf bleiben.

Die VZK-Tagung vom 21. November war diesem besonders dringenden Thema gewidmet und hat mit einem Besucherrekord von über 250 Teilnehmenden die Brisanz aufgezeigt.

Ausblick

Wichtig ist nun, dass die auf dem Tisch liegenden Lösungsvorschläge – wie die einheitliche Finanzierung und die neuen Tarifsysteme – endlich umgesetzt werden. Nur so können die Anreize so gesetzt werden, dass sich das Gesundheitssystem in Richtung Ambulantisierung bewegt. Auf weitere zusätzliche Regulierungen muss verzichtet werden.

Dunkle Wolken ziehen auf, wenn man auf die Massnahmenvorschläge des Bundesrates zur Umsetzung der zweiten Etappe der Pflegeinitiative schaut. Ein weiteres Regulierungsmonster ist im Anmarsch, welches das Personal weiter frustrieren und erhebliche Mehrkosten verursachen wird.

Die Mikroregulierung muss ein Ende finden. Die Politik soll sich darauf beschränken, die grossen Leitplanken zu setzen. Die Umsetzung soll den Leistungserbringern überlassen werden. Denn sie wissen am besten, wie mit pragmatischen Lösungen die Qualität und die Versorgungssicherheit aufrechterhalten werden können.

Dr. Christian Schär

Präsident