Ambulant vor stationär, aber mit fairen Tarifen
Bereits 2017 beschäftigten sich die Spitäler intensiv mit der Einführung von ambulant vor stationär. Einerseits haben einige Kantone, wie beispielsweise Zürich, bereits per 1. Januar 2018 eine Liste ambulant durchzuführender Eingriffe eingeführt. Andererseits hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) durch die Anpassung der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) per 1. Januar 2019 eine schweizweite Regelung vorgenommen.
Um als Regionalspital weiterhin erfolgreich zu sein und vor allem ein qualitativ hochstehendes, wettbewerbsfähiges Versorgungsangebot anzubieten, hat sich das See-Spital schon seit Längerem mit der Ambulantisierung befasst und erste Lösungen erarbeitet.
Überlegungen am See-Spital
Die Verschiebung gewisser Leistungen in den ambulanten Bereich wird durch den medizinischen Fortschritt ermöglicht (z. B. minimalinvasive Verfahren). Sie kann durchaus sinnvoll sein und entspricht gemäss unseren Erfahrungen teilweise dem Patientenwillen. Aufgrund der im Vergleich zum stationären Bereich geringeren Entschädigung stellt die Ambulantisierung für Spitäler folgende Herausforderungen:
- Umsatzrückgang im stationären Bereich und damit einhergehend freie Bettenkapazitäten.
- Ergebnisverschlechterung, da der ambulante Bereich nicht kostendeckend ist.
Um uns für die Zukunft zu wappnen, haben wir im See-Spital verschiedene Lösungsvarianten geprüft. Es ergaben sich diverse Optionen. Einige davon, wie beispielsweise die Aufgabe des ambulanten Operierens oder der Bau eines eigenständigen ambulanten Operationszentrums, wurden als nicht zielführend beurteilt. Der Entscheid fiel auf ein optimiertes Setting mit zwei separierten ambulanten Operationssälen am Standort Kilchberg unter einheitlicher operativer Leitung mit einem eigenen Team.
Rückblick und erste Erfahrungen
Das See-Spital hat den ambulanten Behandlungspfad prozessual und personell vom stationären getrennt. Dies ermöglicht kurze Wege, geringe Wechselzeiten, hohe Flexibilität und Effizienz. Ausserdem arbeiten wir konstant daran, die Dokumentation, die Abläufe der Tagesklinik und die Operationsplanung zu verbessern.
Werden Patientinnen und Patienten auf ihrem Weg in den Operationssaal und zurück umgelagert, gehen Zeit und Komfort verloren. Dieses Problem wurde mit Hybrid-Operationsliegen gelöst, die sowohl in der Tagesklinik als auch im Operationssaal eingesetzt werden. Ausserdem haben sich die Mitarbeitenden gewisse Fertigkeiten aus anderen Bereichen angeeignet, um so schlank und kostensparend arbeiten zu können. Das bedeutet beispielsweise, dass die OP-Pflegefachperson gleichzeitig die Lagerung der Patientin, des Patienten übernimmt. Die klare Aufgabentrennung zwischen den einzelnen Spezialisten musste sich auflösen, damit das Team näher zusammenrücken kann.
Patientinnen und Patienten bewerten unsere Bemühungen äusserst positiv. Über 90 Prozent geben bei unserer internen Befragung den höchsten Zufriedenheitswert an. Da wir gleichzeitig intensiv an der Erstellung des Ersatzneubaus sind, können wir die Erkenntnisse aus dem optimierten ambulanten Setting in Kilchberg in die Planung und Realisierung des neuen Traktes «NEO» in Horgen einfliessen lassen.
Trotz guter Vorarbeit und positiver Erfahrungen blicken wir auf ein herausforderndes Jahr im Zusammenhang mit der Ambulantisierung zurück. Gerechnet haben wir mit einer Verschiebung von 1'350 Fällen, was ca. 12 Prozent all unserer stationären Fälle entspricht. Stattgefunden hat nur ein Bruchteil. Im Bereich der Ambulantisierung wurden knapp über 1'000 Eingriffe durchgeführt. Dies sind nur 322 Fälle mehr als im Vorjahr. In den durch die Ambulantisierung betroffenen stationären Fällen verzeichneten wir einen Rückgang von 582 Fällen. Dies erhöht den Druck noch mehr, in einem grundsätzlich unterfinanzierten System zu bestehen.
Verschiebung fordert Umdenken
Ein möglicher Grund, wieso weniger Eingriffe als erwartet ambulant stattfinden, ist die Verlagerung in andere ambulante Zentren mit höherer Entschädigung oder in Vertragsspitäler, welche nicht der Ambulantisierung unterstehen. Ein weiterer Grund könnte sein, dass die Patientinnen und Patienten mit der Ambulantisierung teilweise überfordert sind. Sie schätzen es, nach einem durchschnittlich vier- bis sechsstündigen Aufenthalt in ihre eigenen vier Wände zurückzukehren. Gleichzeitig sind sie verunsichert, wenn sie nicht auf alle Eventualitäten vorbereitet wurden.
Nehmen wir das Beispiel einer Kniespiegelung. Nachdem zu Hause das Knie anschwillt, stellt sich der Patient folgende Fragen: Muss ich mir Sorgen machen? Wie reagiere ich am besten? Gehe ich wieder zum Arzt oder ins Spital? Oder: Wer macht für mich den Einkauf, solange ich an Krücken gehe? Die Ambulantisierung bedeutet, dass mehr Aufgaben an die Patientinnen und Patienten delegiert werden. Diese Umstellung braucht Zeit.
Faire Tarife gefordert
Eine weitere Problematik stellt das unveränderte Finanzierungssystem dar. Die Tarife sind weder im stationären grundversicherten Bereich noch im ambulanten Bereich kostendeckend. Der Deckungsgrad im ambulanten Bereich ist allerdings wesentlich tiefer und beträgt im See-Spital 76 Prozent beim aktuellen Taxpunktwert von 89 Rappen. Im Vorjahr vor der Ambulantisierung waren es noch 85,6 Prozent.
Langfristig können Spitäler so nicht wirtschaftlich arbeiten. Ausserdem sind ohne Gewinne Investitionen und Erneuerungen nicht möglich, was sich irgendwann negativ auf die Wirksamkeit der medizinischen Leistung auswirkt, beispielsweise in Form einer ineffizienten Infrastruktur.
Mögliche Lösungen sind die Einführung von ambulanten Pauschalen und die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen. Erste Pilotprojekte sind in Erarbeitung, eine mögliche Umsetzung jedoch noch Zukunftsmusik. Der VZK und seine Mitglieder setzen sich für einen fairen Wettbewerb und kostendeckende Tarife ein, um so Entwicklungen und innovative Behandlungsprozesse voranzutreiben. Der Entscheid über eine Behandlung darf nicht von finanziellen Fehlanreizen beeinflusst sein – er soll ausschliesslich aus medizinischer und patientenorientierter Sicht getroffen werden.
Für die Zukunft gerüstet
Das Umdenken bei den Regionalspitälern hat längst begonnen. Das See-Spital unterstützt die Ambulantisierung. Damit die Spitäler nicht weiter in eine Finanzierungslücke fallen, braucht es jetzt rasch eine betriebswirtschaftlich korrekte Entschädigung der ambulanten und stationären Eingriffe. Der VZK ermittelt jeweils den durchschnittlichen Kostendeckungsgrad über alle Mitglieder gesehen. Im Jahr 2017 lag er im ambulanten Bereich bei 84 Prozent und im stationären bei 95 Prozent. Wir bleiben dran!
Matthias Pfammatter
Direktor See-Spital