Zwischenruf

alles wird anders (und Besser)

Die Spitäler sind vom Strukturwandel betroffen. Man spricht von einem Strukturwandel, wenn viele Dinge gleichzeitig ändern. Es entsteht eine instabile Situation. Verunsicherung macht sich breit. Die bisher gültigen Geschäftsregeln gelten auf einmal nicht mehr. Es kommt zu Entwicklungen, die langsam einsetzen und auf einmal – sprunghaft – das Geschehen dominieren. Es entsteht Stress im System. 

Strukturwandel ist das Wort der Stunde. Noch weiss niemand, wohin er wirklich führt. Die digitale Transformation ist einer der wichtigsten Treiber dieses Wandels. Patientinnen und Patienten beginnen, ihr Mobiltelefon als Schaltzentrale für Gesundheitsdienstleistungen und -fragen zu nutzen. Sie positionieren sich im «Driver Seat» und freuen sich darüber, die Kontrolle über einen Prozess zu übernehmen, an dem sie bisher nur als Statist oder Statistin beteiligt waren. Alleine schon aufgrund des Kontrollgewinns werden sich einige der technologischen Innovationen schnell durchsetzen.

Ein Beispiel dafür ist der Gesundheitsdienstleister KRY[1] aus Schweden. Innerhalb von nur 18 Monaten nach der Unternehmensgründung verzeichnete dieser Service über 200'000 Videokonsultationen von Kunden und Kundinnen mit Ärztinnen und Ärzten. Die New York Times[2] nahm KRY im Februar 2019 auf eine Liste mit 50 Unternehmen auf, welche die nächsten «Unicorns» sein könnten. Als «Unicorn» gehandelt zu werden, ist eine grosse Auszeichnung. Ein «Unicorn» hat das Potenzial, eine Industrie grundlegend zu verändern. Deren Dienstleistungen oder Produkte haben «disruptive» Wirkung. Das bedeutet, dass sie die bisherigen Regeln einer Branche ausser Kraft setzen. Dazu gehören Unternehmen wie Uber, Amazon, Facebook, Google usw. Die letzten drei der Genannten möchten übrigens eine weltweite Führungsposition im Gesundheitswesen einnehmen. Amazon werden in diesem Rennen die besten Chancen eingeräumt. Werden wir in 20 Jahren nicht mehr ins Spital Uster, sondern zu Amazon gehen? Vielleicht geht es auch schneller und ich wähle in zwei Jahren meine persönliche Hausärztin auf KRY.

Gleichzeitig schreitet der medizinische Fortschritt in atemberaubendem Tempo voran. Behandlungen, die vor zehn Jahren noch einen zweiwöchigen Spitalaufenthalt nach sich zogen, werden heute ambulant vorgenommen. Rund 80 Prozent der orthopädischen Eingriffe werden in naher Zukunft ambulant durchgeführt. Man stelle sich vor: Um 10 Uhr vormittags erhalte ich eine Hüftprothese und am Abend fahre ich im Taxi nach Hause. Weil die Operationsverfahren sehr schonend sind, braucht es keinen anschliessenden Reha-Aufenthalt.

Die Überkapazitäten im stationären Bereich werden sich dadurch akzentuieren. Es wird zu weiteren Spitalschliessungen kommen. Ab jetzt sind es nicht mehr politische Entscheidungen, sondern wirtschaftliche Sachzwänge, die zu einem solchen Schritt führen.

Auf einer anderen Ebene verändert sich die Medizin grundlegend. Die spezialisierte und hochspezialisierte Medizin organisieren sich als System. Damit ein System entsteht, müssen verschiedene Dimensionen miteinander in Einklang gebracht werden: das Wissen und Können von Spezialistinnen und Spezialisten unterschiedlicher Herkunft, die Nutzung neuster Technologien (Diagnostik/Medizintechnik und ICT-Systeme), die Verwendung von Materialien (z. B. Implantate), der Einsatz von personalisierten Medikamenten und die Anwendung weltweiter Standards (Schemata).

Um ein System zu entwickeln, sind hohe Fallzahlen erforderlich. Ein Beispiel: Um ein Polytrauma-Zentrum als System zu entwickeln, müssen jährlich mindestens 600 Schwerstverletzte versorgt werden. Diese Zahlen erreichen nur zwei Schweizer Spitäler. Die Forschung zeigt, dass solche Zentren qualitativ überlegen sind. Diesem weltweiten Trend werden sich die Schweizer Zentrumsspitäler nicht entziehen können.

Eine weitere Quelle der Veränderung ist die integrierte Versorgung. Es gab in der Schweiz schon mehrere Anläufe in diese Richtung. Die «Managed Care»-Vorlage wurde im Juni 2012 von 76 Prozent der Stimmenden abgelehnt. Die Zufriedenheit der Schweizer Bevölkerung mit ihrem Gesundheitssystem ist ungewöhnlich hoch. Das Thema kommt jetzt wieder auf die Traktandenliste, weil Leistungserbringer und Regionen Modelle der integrierten Versorgung im Rahmen des Experimentierartikels des KVG vorbereiten. Für einmal geht es nicht ums Sparpotenzial durch die integrierte Versorgung, sondern um eine Steigerung der Qualität.

Der Pionier der integrierten Versorgung in den USA, Kaiser Permanente, ist gleichzeitig der Qualitätsführer. Unter den 100 besten und sichersten Spitälern der USA befinden sich gemäss Leapfrog-Ranking[3] viele Spitäler von Kaiser Permanente. Die Zufriedenheit von Patientinnen und Patienten mit den Leistungen von Kaiser Permanente ist unerreicht. In den USA haben sich praktisch alle Spitäler mit ambulanten Dienstleistungserbringern zusammengetan und sich in «Health Systems» organisiert, um die Herausforderungen der integrierten Versorgung bewältigen zu können. Diese Entwicklung ist auch in der Schweiz wahrscheinlich.

Der Strukturwandel wird ein spannender, aber auch schmerzhafter Prozess sein. Wer sich ihm entgegenstellt, wird verlieren. Wer ihn geschickt nutzt, wird nicht immer erfolgreich sein, aber immer öfter.

Gleichzeitig schreitet der medizinische Fortschritt in atemberaubendem Tempo voran. Behandlungen, die vor zehn Jahren noch einen zweiwöchigen Spitalaufenthalt nach sich zogen, werden heute ambulant vorgenommen. Rund 80 Prozent der orthopädischen Eingriffe werden in naher Zukunft ambulant durchgeführt. Man stelle sich vor: Um 10 Uhr vormittags erhalte ich eine Hüftprothese und am Abend fahre ich im Taxi nach Hause. Weil die Operationsverfahren sehr schonend sind, braucht es keinen anschliessenden Reha-Aufenthalt.

Daniel Walker

walkerproject AG, Zürich

In der Rubrik Zwischenruf lässt der VZK jeweils eine Persönlichkeit ausserhalb des Verbands zu Wort kommen. 

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